In Wenningstedt lockt natürlich wie auf ganz Sylt in erster Linie die tosende Nordsee. Doch auch ein wenig abseits von Strand und Wellen gibt es hier einiges zu entdecken. Direkt hinter dem idyllischen Dorfteich liegt die alte Friesenkapelle, und die hat eine bewegte Geschichte.
Bezeichnet wird die Friesenkapelle auch als „die Kirche der Norddörfer“, wobei diese Begrifflichkeit wahrscheinlich noch aus den Zeiten stammt, in denen List noch zu Dänemark gehört, womit Wennigstedt, Braderup und Kampen die nördlichsten Dörfer im ganz Deutschland waren.1914 wurde der Grundstein für de Friesenkapelle gelegt, womit sie zu den jüngeren Kirchen zählt, denn viele ihrer „Artgenossen“ haben ein paar Jahrhunderte mehr auf dem Buckel.
Wenn man den Kirchenführer der Gemeinde studiert fällt auf, dass es eventuell schon im ursprünglichen „Winningstädt“ eine Kapelle gegeben haben könnte. Doch verschwand „Winningstädt“ während der großen Sturmfluten des 14. Jahrhunderts und mit ihm eben auch eine eventuell existierende Kapelle.
Geburtsstunde der Friesenkapelle
Ihre Geburtsstunde verdankt die Friesenkapelle den aufblühenden Tourismus im 19. und 20. Jahrhundert. Mit den ersten Sommergästen kamen auch die ersten Kirchgänger auf die Insel, und die wollten eben auch im Urlaub nicht auf ihren sonntäglichen Gottesdienst verzichten. Doch bis zur Kirche in Keitum war es ein langer Weg, sodass eine andere Lösung her musste. Zunächst gab es „Wohnzimmer-Gottesdienste“ mit dem Keitumer Pastor Riewert. Als die Gästezahlen das Fassungsvermögen der Wohnzimmer überstieg, verlegte man die Messen in den Saal des „Friesenhofs“. Damit war aber vor allem der Wirt Sperle nicht allzu glücklich. Er mahnte an, dass die Kirchgänger die zahlungswillige Kundschaft fernhielten und forderte eine andere Lösung für das Kirchenproblem. 1902 wurden schließlich Teile der Heide zur Bebauung freigegeben, und der Keitumer Kirchenvorstand erwarb in diesem Zusammenhang die Parzelle 445, heute „Kapellenplatz“, nahe dem Hauptstrand.
Allerdings sah sich der Kirchenvorstand in Keitum nicht gezwungen, eine Kirche in Wenningstedt zu bauen. Zu verdanken haben die Wennigstedter ihre Kirche schlussendlich eigentlich Wirt Sperle. Dieser vermeldete irgendwann, er werde seinen Saal nur noch ein einziges Jahr für die Gottesdienste zur Verfügung stellen, und so musste gezwungenermaßen eine Kirche her. Durch fehlende Finanzspritzen aus Westerland wurde die Kirche dann jedoch nicht auf Parzelle 445, sondern an ihrem heutigen Standort errichtet. Das Gelände stiftete damals die Familie Teunis. Am 20. Juni 1915 konnte die Kapelle nach weniger als einem Jahr Bauzeit eingeweiht werden. Eine Kapelle ist es übrigens am Ende vor allem deshalb geworden, weil der Kirchenvorstand weiterhin Konkurrenz für Keitum fürchtete, sodass es auf keinen Fall eine zweite Hauptkirche geben sollte. Zudem bekamen die Wenningstedter keinen eigenen Pastor – die beiden Keitumer Pastoren mussten Saison-Gottesdienste übernehmen.
Etwa 30 Jahre lang wurden vor allem in den Sommermonaten Gottesdienste in der Kapelle gefeiert. Das änderte sich, als nach dem Zweiten Weltkrieg viele Flüchtlinge nach Sylt kamen und man die Gottesdienste jeden Sonntag stattfinden ließ. 1948 bekam die Kapelle endlich einen eigenen Pastor, und seit 1991 agiert die Gemeinde Norddorf selbstständig.
Betritt man den roten Backsteinbau, sollte man seinen Blick schnell nach oben richten. Denn dort ist die Halbtonnendecke zu erblicken, die über und über mit biblischen Symbolen und Bildern nach Art des Bauernmalerei-Stils verziert ist. Damit sich die Sylter in der Kapelle wie in „Gottes Wohnzimmer“ fühlen konnten, wurden wunderschöne Delfter Kacheln verarbeitet – damals wie heute eine kostspielige Angelegenheit. Und ein wenig Friesisch kann man hier auch noch lernen, schließlich ist auf einem Schriftband das Vaterunser in als Reimfassung in Sölring (Sylterfriesisch) zu lesen:
„Üüs Hemels Faarer, let Din Noom bi üüs uur helig.
Tö üüs let kum Din Rik, Din Wel let üüs dö welig,
Skenk üüs üüs daagliches Bruar, ferüv üüs al üüs Sen,
Ek ön Fersjuk üüs föör, help to en sselig Jen.“
Direkt vor der Friesenkapelle steht außerdem eine 2,20 m große Skulptur der Bildhauerin Christel Lechner. Das Werk trägt den Titel „Blick nach Sorquitten“ und soll auf die langjährige Freundschaft zwischen der Norddörfer Kirchengemeinde und der polnischen Partnergemeinde in Sorquitten hinweisen, in der eine ähnliche Fischer-Skulptur („Blick nach Sylt“) zu finden ist.
Die kleine Friesenkapelle hält also mehr an Geschichten und Besonderheiten bereit, als man zunächst vermuten sollte und ist immer einen Besuch wert.
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