Vor wenigen Jahren noch dauerte ein Spaziergang um die Hörnumer Odde mehrere Stunden. Heute hat man die Südspitze nicht nur binnen weniger Minuten erreicht, man ist auch recht schnell um sie herum gewandert. Grund für diese Entwicklung sind die Küstenabbrüche, mit denen die Insel Sylt seit vielen Jahrzehnten zu kämpfen hat.

Sylt ist eine der wenigen Stellen an der deutschen Nordseeküste, an denen das Meer mit unglaublicher Gewalt auf die Küste trifft. Wie groß diese Kraft ist, macht ein praktisches Beispiel gut deutlich: Könnte man die so entstehende Energie nutzen, so würde ein Strandabschnitt von einem Meter rein rechnerisch ausreichen, um den Energiebedarf von mehreren Haushalten abzudecken. Jedes Jahr tragen die vorherrschenden Westwinde und die durch diese hervorgerufene Brandung des Meeres 1 bis 4 Meter von der Westseite der Insel ab und verlagern den so abgetragenen Sand parallel zur Küste nach Norden oder Süden. So verliert Sylt alljährlich rund eine Million Kubikmeter Sand.

Ausgeglichen werden sollen diese Verluste durch Sandaufspülungen, die jedes Frühjahr angesetzt sind. Neben aller Liebe zur Insel Sylt rechnet sich das auch, denn allein die auf Sylt erzielten Steuereinnahmen sind um ein Vielfaches höher als die Kosten der Sandaufspülungen.

Viele Versuche, die Insel zu sichern

Bereits vor ca. 6.000 Jahren ließen sich die ersten Siedler auf der Nordseeinsel nieder. Seitdem ist der Meeresspiegel um fünf Meter angestiegen, sodass immer mehr Teile der Insel durch die Meeresbrandung beeinflusst wurden, wobei der Wind den fliegenden Sand zu großen Dünen auftürmte. Dünengräser sollen seit Jahrhunderten die Strand- und Dünenerosion verhindern. Später versuchte man der Gewalt des Meeres mit Buhnen, Ufermauern, Deckwerken und den gigantischen Tetrapoden Herr zu werden. Die fortschreitende Erosion verhinderten die Menschen durch diese festen Bauwerke jedoch kaum, im Gegenteil: Manche Experten glauben, dass vor allem die Tetrapoden für noch größere Probleme im Bereich des Küstenabbruchs geführt haben.

Eine Sandvorspülung kann entweder als Strandaufspülung oder als Vorlandaufspülung erfolgen, auch eine Kombination aus beiden Verfahren ist möglich. Gemein haben beide Möglichkeiten, dass zunächst Sand durch ein Saugbaggerschiff vom Meeresboden gewonnen wird. Diesen großen Saugbaggerschiffe, auch Hopperbagger genannt, entnehmen den Sand in einer Entfernung von ca. 12 km vor der Küste dem Meeresboden. Dabei gelangt ein Gemisch von 30 % Sand und 70 % Wasser in den großen Schiffstank, wobei das Wasser später wieder abläuft. Um die eigentliche Aufspülung durchzuführen, nähert sich das Schiff bis auf ca. 2 km der Küste. Hier wird es an eine Rohrleitung (Düker) angebunden, die als Verbindung zwischen Schiff und Strand dient. Gerade dieser Schritt ist äußerst kompliziert und kann daher nur bei einem sehr geringen Seegang von weniger als 5 Windstärken durchgeführt werden. Anschließend presst die Maschine das Wasser-Sand-Gemisch wird mit einem Druck von 7 bar an den Strand, wo es Bulldozer verteilen. Direkt im Anschluss ist der Sand wieder betretbar. Pro Tag können auf diese Weise etwa 300 Meter Strandlänge aufgefüllt werden, sofern das Wetter mitspielt.

Das Meer „austricksen“

Erstmals fanden die Strandvorspülungen auf Sylt 1972 statt, wobei der Strand vor Westerland wiederhergestellt wurde. Seit 1984 wird regelmäßig entlang der Westküste der Insel Sand aufgespült. So schuf man ausgedehnte Vordünen, und der weitere Rückgang von Dünen, der Abbruch von Kliffs sowie die Zerstörung von Küstenschutzanlagen konnte weitestgehend verhindert werden. Zusätzlich werden auch einige Hundert Meter vor dem Ufer, im so genannten Vorstrandbereich, seeseitig des dortigen Sandriffs Sand eingebracht. Die sogenannen Vorstrandaufspülungen gleichen dort auftretende Erosionen aus, und die auflaufenden Wellen verlieren bereits in einer vorgelagerten Brandungszone einen Teil ihrer immensen Energie. Von 1972 bis 2016 wurden rund 48,0 Mio. Kubikmeter Sand aufgespült, 2,9 Mio. Kubikmeter davon im Vorstrandbereich. Optimiert werden die Aufspülungen durch eine Variation von Strand- und Vorstrandaufspülungen.

Insgesamt kommen jedes Jahr etwa 820.000 Kubikmeter Sand auf die Sylter Stände. Die Kosten dafür betragen mehrere Millionen Euro und werden in großen Teilen von Bund und Land aus der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes getragen. Außerdem fließen Gelder aus Mitteln der Europäischen Union, genauer gesagt aus dem Europäischen Fonds für die Entwicklung ländlicher Räume (ELER).

Für viele Urlauber sind die Sandvorspülungen ein echtes Schauspiel. Es ist schon beeindruckend, wenn der Sand mit großer Geschwindigkeit aus den riesigen Rohrleitungen auf den Strand schießt. Fotos und Gucken sind selbstverständlich erlaubt, aber an die Absperrungen der Profis sollte man sich durchaus halten. Wer zu nah ans Geschehen heran möchte, der begibt sich in Gefahr. Doch auch aus sicherer Entfernung kann man die Vorspülungen gut beobachten.