Schicke und traditionelle Dächer
Wer auf Sylt ein Haus sucht, der sucht auch gleichzeitig nach einem ganz bestimmten Erscheinungsbild. Putzig in die Dünen geduckte Reetdachhäuser verbinden wohl die meisten Menschen mit der Nordseeinsel Sylt. Und tatsächlich findet man hier wie auch in vielen anderen Teilen Nordfriesland zahlreiche historische und neue Bauten, die sich mit einem Dach aus Reet schmücken.
Reet ist das an Ufern oder auf sumpfigem Gelände wachsende Schilfrohr, das bereits seit Jahrhunderten zum Decken von Dächern verwendet wird. Die Reetdachdeckerei gilt als eine der ältesten Handwerkstechniken beim Hausbau. 2014 reichte das Land Mecklenburg-Vorpommern das Handwerk der Reetdachdeckerei sogar als immaterielles Kulturerbe bei der UNSECO ein, die dem Wunsch des Landes nachkam. Daneben sind Häuser mit Reet aber vor allem eines: Schön anzusehen. Reet steht wie kaum ein anderes Material für Gemütlichkeit und nordfriesischen Charme. Besonders in den Frühjahrs- und Sommermonaten, wenn in den Gärten die Stauden und Blumen blühen, sind die trutzigen Reetdachhäuser ein echter Augenschmaus.
Reet als Vorgabe
Auf Sylt findet man selbstredend einige der schicken Reetdachhäuser, egal ob Neubau oder historisches Gebäude. Bekannt für ihre Reetdachbauten sind vor allem Keitum, Rantum und Kampen. In Kampen findet man vor allem zahlreiche frisch gebaute oder erst einige Jahre alte Objekte, die in vielen Fällen als Ferienhaus dienen. Besonders empfiehlt sich hier ein Spaziergang an der Ostseite des Ortes, da, wo das Watt zu Hause ist. Hinter der Kupferkanne einmal links abgebogen und schon befindet man sich auf einem wunderschönen Rundweg entlang des Wattenmeers, bei dem man später in die Siedlungen einbiegt. Und hier stehen sie dann, die schicken alten und vor allem neuen Reetdachhäuser. Sogar Axel Springer hat sich einst hier ein Haus gigantischen Ausmaßes errichten lassen, welches auch heute noch von den aktuellen Eigentümern als Feriendomizil genutzt wird. In eben dieser Siedlung ist auch der „Hoboken Weg“ zu finden, eine der teuersten Adressen auf der Insel und vielleicht in ganz Deutschland. Egal, wie teuer die Häuser am Ende sind und wer sich sich leisten kann – schön anzuschauen sind die Villen und Anwesen allemal. Übrigens: Wer in Kampen neu baut oder ein altes Haus saniert, der muss sogar mit Reet decken. Das sieht die Bauordnung so vor.
Schmuckstücke in Keitum
Eher historisch präsentiert sich das Kapitänsdorf Keitum. Bis Westerland zum Seebad erklärt wurde, war Keitum der Hauptort der Insel und das Zuhause reicher Kapitäne, die ihr Vermögen mit dem Walfang gemacht hatten. Von diesem Reichtum zeugen auch heute noch die vielen bisweilen denkmalgeschützten Häuser in den vielen kleinen Straßen und Gassen, die sich durch Keitum schlängeln. Einige der Häuser stammen noch aus dem 17. Jahrhundert, gut zu erkennen an den Baujahren, die stets über dem Türbogen angebracht sind. Wie aus der Zeit gefallen wirken die Häuser mit ihren niedrigen Decken, charmant abgewetzten Backsteinen und Klinkern und den alten Holzfenstern. Schnell gerät man ins Träumen und es entsteht der brennende Wunsch, einmal in ein solches Haus hineinschauen zu dürfen. Möglich ist das im Heimatmuseum, einem original eingerichteten alten Friesenhaus. Gegen einen kleinen Eintritt kann man hier durch die Zeit reisen und sich ansehen, wie die Menschen bereits vor hunderten von Jahren unter Reet lebten.
Rantum schließlich, ein wenig südlicher als Keitum und Kampen, bietet einen gelungenen Mix aus historischen Reetdachhäusern und mit Reet gedeckten Neubauten. Denn auch wenn Reet hier nicht das vorgeschriebene Material zum Decken eines Daches ist, so ist es doch ganz weit oben auf der Beliebtheitsskala, sodass ein sehr einheitliches Ortsbild entsteht.
Eine Kunst für sich
Ein Reetdach zu decken ist eine Kunst für sich. Daher gibt es gerade im norddeutschen Raum spezielle Reetdachdecker, die ausschließlich diese Dächer erstellen und reparieren. Auf drei verschiedene Arten kann man ein Reetdach herstellen: Die Dächer können geschraubt, genäht oder gebunden werden. In allen Fällen wird das Reet in geschnürten Bündeln geliefert, anschließend auf den Dachlatten verteilt und von den Profis so ausgerichtet, dass die unteren Reethalmenden eine schräge und einheitliche Fläche bilden. Unter großer Spannung durch die Bindung des Reets wird die sogenannte „Traufschicht“ auf dem Dach gehalten. Bindet oder schraubt man ein Reetdach, muss man einen Haltedraht auf eine ca. einen Meter breite und 10–20 cm starke Lagen bringen und das Reet anschließend durch einen geschraubten oder gebundenen Draht auf die Lage drücken. Danach klopfen die Dachdecker das Reet mit dem „Klopfbrett“ nach oben und in Form. Das macht man solange, bis das ganze Dach gedeckt ist. Wer sein Reetdach nähen lassen möchte, kommt zwar ohne Haltedraht aus, muss sich aber darüber im Klaren sein, dass gerade das Nähen eines Reetdaches die wohl aufwändigste Methode ist.
Durchschnittlich hält ein Reetdach 30 bis 50 Jahre, einige wenige Dächer sind sogar über 100 Jahre alt geworden – das ist aber eher die Seltenheit. Ein Nachteil des Reets lässt sich nicht wegdiskutieren: Das strohige Material brennt einfach wesentlich schneller und ausdauernder als ein mit Pfannen oder Ziegeln gedecktes Dach. Um Brände zu vermeiden, darf man auf Sylt zum Beispiel in Kampen und anderen durch Reet dominierten Orten kein Feuerwerk zünden, auch nicht an Silvester. Denn brennt Reet einmal, dann ist es nur schwer zu stoppen. Erst Anfang August verdunkelten dicke Rauchschwaden den Himmel über Wennigstedt, als ein in L-Form gebautes Reetdachhaus in Flammen aufging. Rund 200 Feuerwehrleute und fast 24 Stunden Arbeit brauchte es, um den Brand unter Kontrolle zu kriegen und wenigstens einen Teil des alten Reetdachhauses zu retten. Ferienwohnungen und die halbe Dachetage brannten völlig aus und sind unbenutzbar, das Dach abgedeckt und den Elementen ausgesetzt. Der Schaden liegt in Millionenhöhe.
Damit einem das erspart bleibt, sollte man gerade bei einem Reetdach auf Brandschutz und einen guten Blitzableiter achten. Dann hat man lange Freude an seinem Reetdach, das doch auch irgendwie immer etwas von Urlaub hat.
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